Eine Klinik für Scherben
Unter seiner Obhut werden liebgewonnene Sachen wieder geheilt. Der Porzellandoktor fügt zerbrochenes Geschirr kunstgerecht zusammen.
Scherben bringen Glück. sagt der Volksmund. Den meisten Menschen bringen sie eher Ärger - für Arne Zimmermann bedeuten sie vor allem Arbeit. Viel Arbeit. denn er repariert Objekte aus Porzellan, zum Teil auch Glas, die manchmal in so viele Einzelteile zerbrochen sind, daß man sie kaum erkennt. Einige Stücke, die seine Kunden ihm anvertrauen, sehen aus wie Puzzles. Mit Engelsgeduld. Fingerspitzengefühl und technischem Know-how fügt er sie wieder zusammen Das hat er von seiner Mutter gelernt.
1966 eröffnete Günna Zimmermann das Studio für Porzellanreparatur in Hamburg. Da war Arne gerade ein Jahr alt. Seine Kindheit verbrachte er in der Wohnung hinter dem Laden. Als Arne größer war, machte er eine kaufmännische Ausbildung. Sein Interesse galt verrosteten amerikanischen Autos, die er mit Liebe zum Detail flott machte. Als seine Mutter ihn eines Tages um Hilfe in ihrem Geschäft bat, legte er auch dort Hand an. Er lernte, Porzellan zu reinigen und Gläser zu schleifen. Alle nötigen Arbeitsschritte brachte ihm seine Muttter bei, durch eigene Experimente vervollkommnete er sein Fachwissen. Das Porzellan wird tritt Flußmittel geklebt, das in die Scherben zieht und die Teile dauerhaft bindet. Fehlende Partien werden mit Kunststoffen oder Spezialgips - je nach - Verwendung des Objektes - ersetzt.
Mit Porzellanmasse könnte man das nicht machen, denn die schrumpft beim Brennen, so daß der Bruch wieder zum Vorschein käme. Die Materialien. die der Spezialist benutzt, härten beim Trocknen. Danach werden sie geschliffen und poliert. bevor das Porzellan an den schadhaften Stellen neu bemalt wird. Vor seiner eigentlichen Arbeit benutzt der Porzellanreparateur den Ofen. Bei großer Hitze werden die Einzelteile .saubergebrannt, von Gebrauchsspuren gereinigt.
Die persönliche Beziehung ist der Hauptgrund für die Reparaturwünsche seiner Kunden. Der Teller vom Gebrauchsgeschirr wird neu gekauft, wenn er zerbricht. Aber Stücke mit Charakter und Geschichte sind unersetzlich. Entsprechend Sorgsam geht er mit Ihnen um. Er weist seine Kunden stets darauf hin, daß die restaurierten Teile nicht wie neu aussehen werden. Hauchfeine Spuren bleiben zurück. "Das Ist wie eine Narbe", sagt er, "ein Kapitel Geschichte für das Stück - Hauptsache heil." Einmal brachte eine alte Dame zerbrochene Tassen zu ihm, weil sie ihren Nachlaß ordnete. Sie wollte das Geschirr komplett vererben. Solche Geschichten faszinieren Arne Zimmermann, der vor einem Jahr den Laden seiner Mutter übernommen hatte
(Zuhause Wohnen v. Mai 1995).