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SCHERBEN-KLINIK Arne Zimmermann ~ seit 1935 ~
Unsere Reparaturen sind alltagstauglich und spülmaschinenfest!

Der Porzellan-Doktor

Kaputte Meißen-Vasen oder henkellose Kaffekannen - in einer Spezialwerkstatt wird zusammengefügt, was zusammengehört

Sie wollte nur ein Buch aus dem Regal ziehen, doch dabei ging die Vase aus Meißner Porzellan klirrend zu Bruch. Das Erbstück aus dem Nachlaß der Schwiegermutter lag in acht handtellergroßen Scherben und winzigen Splittern auf dem Wohnzimmerboden verstreut. Verzweifelt steht die Frau einige Stunden später im Porzellan-Reparatur-Studio an der Sierichstraße (Winterhude). Die Trümmer stellt sie behutsam in einem Pappkarton auf den Tresen. "Können Sie da noch etwas machen?" fragt sie und fügt verlegen hinzu:,, mein Mann darf es auf keinen Fall bemerken."

Arne Zimmermann (31) mustert den Scherbenhaufen. Aufgeregt redet sich die Frau unterdessen ihr Mißgeschick von der Seele. "Es ist eine mittlere Katastrophe", sagt sie. Die Großeltern ihres Mannes hätten die Vase bei der Flucht gerettet und mit nach Hamburg gebracht. Und: Noch nie sei ihr etwas kaputtgegangen. "Kein Problem", sagt der "Porzellandoktor" beruhigend. "Ich kann die Bruchstellen fast unsichtbar machen."

Arne Zimmermann beginnt, das scheinbar Unmögliche möglich zu machen. Zunächst schiebt er die Scherben in den Brennofen. Bei 700 Grad verbrennen dort Fette, Verschmutzungen und mögliche Klebereste. In mühevoller Puzzlearbeit fügt er dann die Porzellanteile und Splitter Stück für Stück aneinander und verklebt sie mit Epoxidharz. Nach jedem Arbeitsgang müssen die zusammengefügten Scherben in den Ofen - um bei einer Temperatur von 90 Grad zusammenzubrennen.

"Viele kommen mit Schuldgefühlen hierher", sagt Arne Zimmermann, während er eine Lücke am Fuß der buntbemalten Meißen-Vase mit speziellem Kunstharz ausfüllt. "Sie schämen sich, Erbstücke und Geschenke demoliert zu haben." Meist würden ihm seine Kunden ausführlich erzählen, wie das gute Stück kaputtgegangen ist. Manchmal seien nach Aussage der Kunden auch schon Porzellan-Figuren oder Ming-Vasen wie von Geisterhand aus Vitrinen gefegt worden. "Katzen und Putzfrauen machen angeblich am meisten", sagt er und schmunzelt. "Oder Gäste die nach dem Essen beim Abräumen helfen wollen."

In den Regalen in der Porzellan-Werkstatt stehen kostbare Stücke aus Porzellan, Keramik, Ton und Glas. Da steht eine henkellose Kaffeekanne neben einer kopflosen Porzellan-Tänzerin. Eine zerschmetterte Zuckerdose mit feinen Porzellanblüten liegt neben einem weißen Keramikpferd, dem bis vor kurzem noch das rechte Bein fehlte. Und für die mit Rosen bemalte Toilettenschüssel aus der Jahrhundertwende ist bereits eine zweite Halterung für den Deckel nachgebaut worden.

Als die Meißen-Vase komplett zusammengefügt ist, beginnt Kunststudentin Melanie Lange (25) mit dem letzten Arbeitsgang: der neuen Farbe. Sie mischt genau die Blau-, Grün- und Gelb-Töne der Vase zusammen. "Je mehr ein Stück dekoriert ist, desto weniger ist die Reparatur später zu sehen", erklärt sie und setzt den dünnen Pinsel an, um mit feinsten Strichen eine Blüte nachzuziehen.

Arne Zimmermann erinnert sich an eine in mehr als 80 Teile zerbrochene Künstlervase. "Das war eine echte Herausforderung", sagt er. Der Kunde hatte das 900 Mark teure Stück bei einem Ehestreit kaputtgeschmissen und wollte es unbedingt reparieren lassen. "Unmöglich, dachte ich zuerst", sagt Zimmermann. Doch es gelang ihm. Der Kunde zahlte 1200 Mark und schüttelte dem "Doc" beide Hände.

Kürzlich hat Zimmermann einen lebensgroßen Tiger aus Keramik "verarztet". Die Putzfrau -berichteten ihm die Kunden- habe das Tier mit dem Staubsaugerkabel die Treppe heruntergerissen. Aus lauter Schreck habe sie die Scherben in den Abfall geworfen. Verdreckt kamen die Trümmer in der Porzellan-Werkstatt an. Arne Zimmermann: "Da klebten sogar noch Bananenschalen und Kaffeesatz dran." Er habe den in etwa 50 Teile zerbrochenen Tiger erst einmal in seiner Badewanne gewaschen. "Viele fürchten, noch größeren Schaden anzurichten, wenn sie die Scherben selbst reinigen", sagt der Mann für den zerbrochene Kuchenplatten mit einem Stück Schwarzwälderkirsch keine Seltenheit sind.

Seine Mutter, Günna Zimmermann, hatte vor 30 Jahren das Porzellan-Reparatur Studio eröffnet. "Ich wuchs quasi zwischen Scherben und Porzellan auf', sagt Zimmermann. Mittlerweile hat er den Familienbetrieb übernommen. Als nach zehn Tagen die Kundin in die Werkstatt kommt, um die Meißen-Vase abzuholen, sind die feinen Risse mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen. Staunend nimmt sie das reparierte Stück entgegen und zahlt 280 Mark. "Ich bin Ihnen so dankbar", sagt sie. Dabei hatte ihr Mann das Fehlen des geliebten Erbstückes bislang nicht einmal bemerkt...

(Hamburger Abendblatt v. 19.02.1996)